… dann wird man schon Direktkandidat. So oder so ähnlich ging es mir zumindest. Wie genau es dazu kam, möchte ich hier darlegen.
Im Internet bin ich (abgesehen von BBS-Einwahlen Anfang der 90er) seit 1995 unterwegs. Seit Anfang dieses Jahrtausends habe ich mich im Bereich Open Source Programmierung engagiert. Ich habe den Werdegang der Piratenpartei bereits seit der Gründung der schwedischen Piratenpartei im Jahre 2006 als außenstehender Beobachter verfolgt. Bis zur Gründung der Piratenpartei hatte ich den Eindruck, Netzpolitik nur ohnmächtig mitverfolgen zu können. Viele Positionen der neuen Partei erschienen mir aufgrund meiner Internetaffinität sehr plausibel, erstmals hatte ich das Gefühl, dass auch Themen, die mich außerhalb meines Studiums der Politikwissenschaft bewegten, von Menschen, die das Internet wirklich verstanden, auf die Agenda der Tagespolitik gesetzt wurden. Zudem wurden seit dem 11. September im “liberalen” Westen die Bürgerrechte zunehmend eingeschränkt, Überwachung wurde ausgeweitet, der von George Orwell in seinem Buch “1984” skizzierte Überwachungsstaat schien plötzlich zum Greifen nahe.
Aus privaten Gründen konnte ich mich bis letztes Jahr jedoch nicht selbst aktiv mit einbringen. Im Sommer 2012 fanden sich die Piraten (demoskopisch gesehen) bereits im freien Fall und die Presse, welche die Partei in vollkommen unrealistische Höhen gehyped hatte, schrieb gegen sie an. Für mich schien dies ein geeigneter Zeitpunkt, um endlich in die neue Partei einzutreten. In den folgenden Wochen und Monaten lernte ich dann endlich viele Menschen kennen, die vom Grundprinzip her doch ähnlich dachten. Zwar waren auch einige dabei, die während des Hypes dazugekommen waren und sich mit den Positionen der Piraten nicht wirklich identifizieren konnten, aber so ist das nunmal: Wenn man “in” ist, will jeder plötzlich ein Freund sein.
Die Zeit zwischen meinem Eintritt in die Piratenpartei und meiner unerwarteten Bundestagskandidatur war eine nervenaufreibende Zeit, denn ich konnte beobachten, wie innerhalb der Partei die verschiedensten Wortgefechte und auch Machtkämpfe angesichts der anstehenden Aufstellungsversammlungen ausgetragen wurden. Da ich noch niemals zuvor in einer Partei aktiv war und ich dieses Geplänkel nur vom Hörensagen von Kommilitonen kannte, die zuvor in anderen Parteien engagiert waren, kann ich zwar nicht ersterhand sagen, dass es das übliche Geplänkel war, aber dennoch schien es für einige Kandidierende um sehr viel zu gehen. Wenn es um viel geht, engagieren sich Menschen aber auch stark emotional, so dass ich letztlich den Ereignissen um die Aufstellungsversammlungen herum allzu viel Gewicht verleihen möchte. Zudem ist es eine Eigenart der Piratenpartei, Konflikte öffentlich und nicht hinter vorgehaltener Hand auszutragen.
Sowohl die hessische Aufstellungsversammlung zur Bundestagswahl als auch die Vergabe der Listenplätze zur Landtagswahl fanden im Landkreis Gießen statt. Für mich als mittlerweile teilnehmenden Beobachter (zwar Parteimitglied, aber keinesfalls Kandidierender für eine der beiden Listen) waren die Vorstellungsrunden interessant, teils amüsant, aber auf jeden Fall waren sie transparent. Letztlich waren die beiden Veranstaltungen jedoch nicht nur eine Prüfung der Kandidaten, vielmehr waren sie auch eine Prüfung der Schwarmintelligenz. Würde der vielzitierte Schwarm intelligent handeln und die richtigen Kandidaten auswählen? Eine qualifizierte Antwort wird man wahrscheinlich erst im Nachhinein geben können. Denn es gibt derzeit sowohl Pros als auch Contras hinsichtlich des Modus der Veranstaltung. So haben sich sehr viele Menschen für einen Platz beworben, aber durch den Modus wurde nur eine kleine Anzahl an Menschen auf die Liste geschickt. Einige der Kandidaten, die nicht auf den Listen endeten, verabschiedeten sich in der Folgezeit aus der Partei. Schon früh wurde per Twitter von gekränkten Egos gesprochen. Zum einen ergibt sich unmittelbar daraus, dass diese gekränkten Egos im anstehenden Wahlkampf fehlen, man benötigt jedoch jede personelle Hilfe, denn jedes parteipolitische Engagement bei den Piraten findet ehrenamtlich statt. Zum anderen könnte mit dem Modus der Auswahl schon ein parteiinterner “Selbstreinigungsprozess” eingesetzt haben, denn die Umfragewerte für die anstehenden Wahlen lassen ohnehin verheerendes ahnen und altgediente Piraten erwarten, dass nach den Wahlen wieder die “Kernies” die Oberhand gewinnen. Ich denke, eine Bewertung wird sich aus diesem Grund erst in einiger Zeit ergeben.
Nun aber zu dem Grund, weshalb ich diese Zeilen schreibe. Ein Bekannter, dessen Freund sich einige Zeit aktiv im KV Frankfurt engagierte, bat mich darum, die Ereignisse rund um die Kandidatur in einem Blog festzuhalten, um egal ob positiv oder negativ, den Wahlkampf transparent zu gestalten. Da mir diese Idee gefiel, werde ich nun also damit anfangen, indem ich berichte, wie ich zum Bundestagsdirektkandidaten im Wahlkreis 173 wurde.
Die Aufstellungsversammlung fand am 04. Mai statt. Tatsächlich war ein anderere Pirat bereits als Kandidat in einem Pad eingetragen. Wie bei den PIRATEN üblich, konnte jedes Mitglied während der Aufstellungsversammlung selbst Kandidatenvorschläge einreichen. Der andere Pirat, ein Kreistagsabgeordneter der Piraten, verabschiedete sich jedoch sinngemäß mit folgenden Worten von seiner Kandidatur: “Ihr seid doch verrückt. Ich wurde schon in den Kreistag gewählt, obwohl damit niemand gerechnet hatte. Was passiert, wenn ich jetzt auch noch in den Bundestag gewählt werde? Nein, ich gehe nicht nach Berlin, das könnt ihr vergessen!”
Die Chance, über ein Direktkandidat in den Bundestag einzuziehen, ist, wenn man nicht gerade Christian Ströbele oder Gregor Gysi heißt, so ziemlich bei 0. Wie auch immer, wir hatten nun also die Möglichkeit, keinen Kandidaten aufzustellen oder eine Spontankandidatur. Ich wurde schließlich von einem Piraten vorgeschlagen, hatte ein paar Minuten Zeit, um es mir zu überlegen und entschied mich dann schließlich dazu, zuzustimmen, denn letztlich hatte ich bei der Angelegenheit nichts zu verlieren (außer an Zeit), aber konnte doch einiges an Erfahrungen dazugewinnen.
In den kommenden Wochen versuche ich nun also meine Erlebnisse im Wahlkampf an dieser Stelle niederzuschreiben und gerne bin ich bereit, Fragen zum Programm der Piratenpartei zu beantworten und mich zu Veranstaltungen einladen zu lassen.
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