Einmal mehr wurde ich als Direktkandidat der Piratenpartei Deutschland für den Wahlkreis Gießen zu vier Themengebieten befragt.
Die Fragen sind teils hypothetischer Natur, aber wir haben uns dennoch bemüht, sie zu beantworten, da sich daraus erkennen lässt, wie ein Direktkandidat in einem möglichen Szenario reagiert.
Da die Fragen zu komplett unterschiedlichen Themen gestellt wurden, werde ich diese in Einzelbeiträgen hier vorstellen.
1. Niemand weiß wirklich, wie die politischen Verhältnisse in fünf Jahren im Nahen und Mittleren Osten aussehen werden. Offenbar aber steht die Welt gerade vor einer militärischen Eskalation im “Syrien-Konflikt”. Schon jetzt zählt die UNO-Flüchtlingshilfe über eine Million Flüchtlinge. In Gießen treffen zur Zeit vermehrt eritreische und somalische Flüchtlinge ein (z.B. GAZ vom 21.08.2013 http://www.giessener-allgemeine.de/Home/Stadt/Uebersicht/Artikel,-Doppel-Nutzung-des-US-Depots-rueckt-naeher-_arid,440548_regid,1_puid,1_pageid,113.html).
Frage: Wie wollen Sie sich verhalten, wenn im weiteren Verlauf (das nicht der NATO angehörende) Israel massiv angegriffen werden sollte?
Wie wird Ihre Flüchtlings- und Asyl-Politik aussehen?
Meine Antwort: Meine Partei hat noch keine Position für den mittlerweile wieder unwahrscheinlicher werdenden Fall, dass Israel massiv angegriffen werden sollte.
Grundsätzlich setzt die Piratenpartei jedoch auf das liberale Konzept der Kooperation und Gespräche.
Aus dem Wahlprogramm der Piratenpartei Deutschland ergibt sich, dass Militäreinsätze immer nur die letzte Option sein dürfen und genau abgewogen werden müssen.[1]
Eine Beteiligung der Bundeswehr kommt für mich nur mit Mandat der Vereinten Nationen (VN) in Frage.
Leider gestaltet sich dies im Nahen Osten als äußerst kompliziert, denn alle Großmächte verfolgen ihre Partikularinteressen. Russland ist z.B. im Falle Syriens ein Verbündeter Syriens und China bindet sich bei Abstimmungen in den VN an das Votum Russlands. Somit dürften VN-Mandate recht unwahrscheinlich sein. Koalitionen von Willigen sind jedoch völkerrechtswidrig.
Auch einseitige Militärschläge würden gegen geltendes Völkerrecht verstoßen, denn dieses erlaubt militärische Gewalt nur:
1) Zur Selbstverteidigung.
2) Unter einem Mandat der Vereinten Nationen.
Militärische Gewalt ist völkerrechtlich nicht dazu vorgesehen, um
a) den Einsatz von MVV zu bestrafen.
b) die Proliferation von Waffen zu adressieren.
c) auf wage Bedrohungen zu reagieren.
Genau dies sind aber die vorgeschobenen Gründe, mit der Obama bis vor kurzem noch für einen Militäreinsatz in Syrien warb.
Eine eingehendere Antwort zur Syrienfrage habe ich übrigens unter dieser URL mit Bürgern diskutiert:
http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/83797/nato-angriff-auf-syrien/
Zu Ihrer Frage, wie unsere Flüchtlings- und Asyl-Politik aussieht:
Asylpolitik muss immer an humanitären und nicht an nationalstaatlichen oder wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet sein. 1993 wurde aus Grundgesetz Artikel 16 Absatz 2 der zweite Satz getilgt. Er lautete: “Politisch Verfolgte genießen Asylrecht”. Dadurch ist es in Deutschland schwerer geworden, Asyl zu erlangen. Wir fordern die Wiedereinführung dieses Grundrechts auf Asyl. Darüber hinaus müssen Menschen, die vor Diskriminierung, der Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität, vor Klima- und Umweltkatastrophen, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe oder wegen Existenzbedrohung durch Armut und Hunger geflohen sind, hier ebenfalls als asylberechtigt anerkannt werden. Eine Hierarchisierung von Fluchtgründen lehnen wir ab. Außerdem lehnen wir pauschale Kategorisierungen von Staaten als „sichere Herkunftsländer“ ab. Schutzsuchende haben ein Recht auf individuelle Prüfung ihrer Situation. Bei der Prüfung, ob eine Berechtigung zum Asyl vorliegt, ist im Zweifel zu Gunsten der Asylsuchenden zu entscheiden. Dabei ist auf diskriminierende und inhumane Beweisverfahren zu verzichten.
Wir setzen uns für offene Grenzen statt einer Festung Europa ein. Statt die Abriegelung Europas weiter voranzutreiben, muss die EU Maßnahmen zur sicheren Grenzüberquerung von flüchtenden Menschen, besonders auf den Meeren vor Europa, treffen, um diesen die Möglichkeit zu geben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Wir kritisieren die momentane Praxis, immer neue Straftatbestände zu konstruieren, um Schutzsuchende zu inhaftieren.
Zudem setzen wir uns für eine freie Wahl des Aufenthaltsortes für alle Menschen ein. Jedem Menschen muss das Recht auf freie Wahl seines Aufenthaltsortes gewährt werden. Daraus resultiert auch, dass jedem Menschen die Möglichkeit gegeben werden muss, in dem Land seiner Wahl Asyl zu beantragen. Die bevormundende Verschiebungspraxis der EU lehnen wir ab.
Grundrechte müssen zudem auf alle Menschen ausgeweitet werden. Durch restriktive Vorschriften, wie z. B. die Residenzpflicht, wird ihre Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt und ein freizügiges, selbstbestimmtes Leben, ebenso wie die Beteiligung an politischen oder sozialen Veranstaltungen, nahezu unmöglich gemacht. Wir setzen uns dafür ein, dass Asylsuchenden die Möglichkeit gegeben wird, sich frei und unkontrolliert im gesamten Gebiet der Europäischen Union zu bewegen.
In den von Ihnen verlinktem Artikel wird die aktuelle Herangehensweise unseres Staates deutlich. Durch die Unterbringung in Lagern und Gemeinschaftsunterkünften, die zumeist abgelegen von Stadtkernen liegen, sind Asylsuchende zu einem isolierten Leben gezwungen. Durch die Residenzpflicht sind Asylsuchende zudem häufig an einzelne Gemeinden oder Landkreise gebunden, wodurch ihnen die Möglichkeit genommen wird, Freundinnen und Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder außerhalb der Kreisgrenzen zu besuchen.
Erschwert wird diese Situation dadurch, dass kein Anspruch auf den Zugang zu neuen Medien, wie dem Internet, besteht. Ein Internetanschluss bietet leichten Zugang zu Bildung und Kultur, bietet die Möglichkeit, während des laufenden Asylantrags Kontakt zur juristischen Vertretung zu halten, sich über die deutsche Rechtslage zu informieren oder Kontakt zu Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden zu halten.
Wir halten diesen menschenunwürdigen Zustand für nicht länger hinnehmbar und setzen uns dafür ein, Asylsuchenden ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, ohne Kontrolle, Misstrauen und Isolation zu ermöglichen. Wohnungen müssen hierfür dezentral organisiert werden, eine Abkehr von der bestehenden Lagerpraxis ist unabdingbar. Der Zugang zu Bildung, Kultur, Sprachkursen und neuen, modernen Kommunikationsmedien wie dem Internet muss barrierefrei und kostenfrei sichergestellt sein.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum „Asylbewerberleistungsgesetz“ zeigt eindeutig, dass es verfassungswidrig ist, Asylsuchende unter dem „Existenzminimum“ zu halten. Wir setzen uns dafür ein, dass Asylsuchende Anspruch auf Sozialleistungen haben, ohne dabei diskriminierende Sondergesetzgebungen zu erhalten oder zu schaffen. Das Recht auf sichere Existenz und Teilhabe muss für alle Menschen gelten – auch und besonders für Schutzsuchende.
Allen Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, muss genügend Zeit gegeben werden, die auf der Flucht und im Herkunftsland erlebten Geschehnisse zu verarbeiten. Dafür muss gewährleistet sein, dass Asylsuchenden eine psychologische Betreuung gestellt wird, die sie dabei unterstützt und begleitet.
Um faire Chancen und Grundlagen in einem Asylverfahren zu schaffen, muss sichergestellt werden, dass sowohl genügend Zeit als auch eine ausreichende Anzahl an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorhanden ist. Zudem ist von hektischen Pauschalurteilen und der Hierarchisierung unter bestimmten Gruppen von Flüchtlingen abzusehen, um eine echte Chancengleichheit zu schaffen. In Zeiten von erhöhtem Aufkommen an Asylsuchenden ist hierfür eine Aufstockung der Ressourcen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu gewährleisten, um unnötige und störende Wartezeiten zu vermeiden. Hierbei darf es zu keinem Qualitätsverlust der Beurteilungen und Entscheidungen kommen, wie es im sogenannten „Schnellverfahren“ der Fall ist.
Die Piratenpartei setzt sich außerdem dafür ein, Asylsuchenden einen rechtlichen Anspruch auf eine juristische Vertretung sowie auf eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher zu gewährleisten, um diese nicht zusätzlich mit hohen Kosten, organisatorischen Schwierigkeiten und sprachlichen Barrieren zu belasten.
Letztlich setzen wir uns für ein generelles Ende von Abschiebungen und der Abschiebehaft ein, denn die Konsequenzen einer Abschiebung führen für den betroffenen Menschen fast immer in aussichtslose Situationen und oft auch zu Gefahr für Leib und Leben. Botschaftsvorführungen zur Identitätsfeststellung und Passersatzbeschaffung sind diskriminierend und daher ebenfalls abzulehnen. Die Abschiebehaft ist sofort bundesweit auszusetzen. Inhaftierte Personen sind sofort zu entlassen.
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