Die Ereignisse der Neujahrsnacht in Köln und andernorts in dieser Republik müssen viele traumatische Erlebnisse Bei den Opfern aber auch den Zeugen der Straftaten hervorgerufen haben. Während der Rechtsstaat sich nach wie vor damit befasst (und auch noch lange damit befasst sein wird), die Geschehnisse aufzuklären, ist die Empörung in großen Teilen der Bevölkerung ob der unerhörten Taten groß und die politische Kaste überschlägt sich in ihren Forderungen angesichts der angeblich nicht absehbaren Integrationsprobleme. Unabhängig von der Zugehörigkeit des eigenen politischen Lagers versuchen Menschen anhand von Stereotypisierungen die Willkommenskultur zu verteidigen (indem sie darauf hinweisen, dass man nicht alle Flüchtlinge über einen Haufen werfen kann, aber damit dennoch den Sammelbegriff Flüchtling, statt dem zutrefferenden Begriff “mutmaßliche Sexualstraftäter” benutzen) oder mit der Angstkeule in der Hand vor dem Untergang des schon lange nicht mehr vorhandenen christlichen Abendlandes zu warnen und Ressentiments opder gar Hass zu schüren.

Das, was wir mit der Entstehung der Pegida Bewegung fassungslos und vielleicht anfangs sogar noch lächelnd und kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen haben, durchdringt unsere Gesellschaft zunehmends und ich gewinne den Eindruck, Menschen müssten sich für oder gegen Dinge entscheiden. Wer nicht mehr für die eine Seite ist, wird nun als Gegner betrachtet. Solche dichotome Zuspitzungen gab es in dieser Form sehr ausgeprägt im Dritten Reich und sie treten immer auch dann auf, wenn die gesellschaftliche Mitte vor einer Spaltung steht.

Ich lehne dieses Schwarzweißdenken ab, denn es ist nicht zielführend. Statt mehr gesellschaftliche Desintegration benötigen wir eine enorme Anstrengung, um kurz- und mittelfristig die Flüchtlingskrise, die ein Ergebnis des außenpolitischen Scheiterns unserer Regierung aus Union und SPD bzw. der Vorgängerregierung aus CDU, CSU und FDP, darstellt, zu meistern. Was mich außerdem an dem zugespitzten Diskurs stört, ist der Fokus auf die Schuldfrage der Täter, durch die das Leiden der Opfer ausgeblendet wird. Genau darauf möchte ich mit diesem Blogbeitrag aber den Fokus richten, indem ich darüber berichte, was mir vor 24 Jahren geschah, also der Zeit in der Rechtsextreme Gewalttaten an unschuldigen Flüchtlingen in Hoyerswerda, Mölln oder Solingen begangen.

Ich wurde Opfer einer Gewalttat, die durch acht Türken begangen wurde. Zu dieser Zeit war ich Schüler eines altsprachlichen Gymnasiums, das durch einen Raummangel bedingt das Nebengebäude einer anderen Schule am anderen Ende der Stadt anmieten musste. Als Schüler der gymnasialen Oberstufe war es uns zuzumuten, des Öfteren zwischen unserer Schule und dem Nebengebäude der anderen Schule in unseren großen Pausen zu pendeln. Da sich der Weg zum Bus oder Zug ab der Gesamtschule um einige hundert Meter verlängerte und ein Verpassen des solchen oftmals eine Wartezeit von bis zu zwei Stunden für die betroffenen Schüler bedeutete, durften einige von uns bereits etwas früher den Unterricht verlassen. Für mich als einzigen Schüler, der aus Rosbach kam, bedeutete dies somit, dass ich den Weg zum Bus oder Zug oftmals alleine antrat, so auch an jenem Mittag, an dem ich von acht jungen Türken überfallen wurde.

Der Weg von der Gesamtschule zum Bus führte an einer engen Fußgängebrücke über einen kleinen Bach, der von Gebüsch umgeben war. Beim Betreten der Brücke war es somit nicht möglich voll einzusehen, was sich auf der anderen Seite des Baches ereignete. Als ich mich alleine auf den Weg von der Schule zum Bus machte, stellte sich kurz vor der Brücke ein Junge, mit breiter Brust vor mich. Er wollte Geld von mir. Ich sagte ihm, dass ich kein Geld dabei habe, woraufhin er mich mit seiner breiten Brust anrempelte und diesmal stärker insistierte, dass er Geld wolle. Ich fasste ihn daraufhin an den Schultern an und ging seitlich an ihm vorbei. Er rief etwas auf türkisch, rannte an mir vorbei und stellte sich in der Mitte der Fußgängebrücke wiederum vor mich. Ich sagte ihm, er solle mich vorbeigehen lassen, aber stattdessen fing er an mich auf türkisch zu beschimpfen. Ich kannte die Bedeutung der Worte, da ich in einem Haus mit türkischen Mitbewohnern aufgewachsen war und ahnte nichts Gutes. Ich schob ihn also erneut zur Seite, da ich Angst hatte den Bus zu verpassen und mir dachte:

“je weniger du mit dem Typen zu tun hast, desto besser für dich.”

Als ich ihn diesmal berührte, kam ein größerer Kerl, Fatih, hinter einem Gebüsch von der anderen Seite der Brücke hervor und fragte mich, warum ich den kleinen anfasste. Ich sagte ihm, er stehe mir im Weg, gehe nicht weg und ich müsste nun weiter. Ich ging an ihm vorbei, weichte seinem Blick aus, denn ich kannte die “was guckst du?” Masche, die zu jener Zeit als Eröffnung eines aggressiven Aufeinandertreffens stark verbreitet war, nur zu gut und ging etwa zehn Meter weiter. Nun rannte er mir hinterher und hinter einem anderen Gebüsch kamen sechs weitere seiner Freunde hervor. Sie umkreisten mich. Ich stand mit dem Rücken zur Rückseite einer Turnhalle. Auf meiner Vorderseite befand sich die natürliche Grenze des Baches mit dem Gebüsch, links standen 2 große Kerle, und einer sicherte zusammen mit dem kleinen Jungen den Übergang der Brücke ab. Der große Fatih in seiner Bomberjacke schien mir in diesem Moment der Anführer zu sein. Er fing an, mit seinen Händen wild im Stile eines Kämpfers rumzufuchteln und wollte Geld von mir. Anhand von der Art und Weise, wie er vorging, war es für mich in jenem Moment ersichtlich, dass er nicht sonderlich in Kampfkünsten geschult sein musste, denn ich war zu jener Zeit bereits seit einigen Jahren aktiver Karateka. In jenem Moment ging mir so unglaublich viel durch den Kopf. Ich hatte noch niemals einen Kampf außerhalb der Trainingshalle absolviert und gedachte, dies auch jetzt nicht zu tun. Plötzlich versuchte ein anderer Junge von rechts kommend, mich mit der Faust zu schlagen und ich wehrte instinktiv ab. Ich rief im zu, dass ich Karate mache und er dies lieber bleiben lassen solle, denn ich erhoffte mir so, einer weiteren Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Dies hielt die Täter jedoch nur teilweise davon ab, weiterzumachen. Vielmehr schien es ihnen in ihrer Gruppe ein Ansporn zu sein, nun erst recht ihr Können, wenn auch vorsichtig, unter Beweis zu stellen. Ein anderer Junge versuchte nun noch sein Glück mit einem Tritt und diesmal wehrte ich mit einem Tritt seinen Tritt ab, da ich zum einen wenig Bewegungsfreiheit hatte und mir damit erhoffte, ein Zeichen zu setzen. Während ich jedoch noch abwehrte, setzte Fatih zum Sprung an und traf mich im Genick. Ich spürte in diesem Moment gar nichts, aber wahr unglaublich wachsam, was wohl durch das Adrenalin, das in solch einer Situation freigesetzt wird, zu erklären ist. Motiviert von diesem Erfolg, wollte er den Sprung kurz darauf wiederholen. Ich fing ihn diesmal in der Luft ab und versetzte ihm mit einem lauten stimmhaften Kiai, einem Kampfschrei, einen Schlag in die Magengegend, so dass er direkt bei der Landung zusammensackte und sich vor Schmerz krümmte.

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Der Schrei hatte für mich in diesem Moment eine dreifache Funktion. Erstens sammelt sich in so einem Moment die gesamte körperliche Energie und konzentriert sich auf diesen einen Moment. Zweitens lässt die Konzentration nach solch einem Schlag nicht nach, denn im Karate geht es danach (etwa in einer Kata) weiter. Zum anderen hat ein lauter erster Kampfschrei mehrere psychologische Komponenten: Er ist unerwartet, er schreckt auf und vielleicht wird er auch von weiter weg gehört. Anschließend begab ich mich in Kampfstellung. Zwei größere Jungs zückten ihre Messer und versuchten damit zu hantieren. Ich schrie nun so laut ich nur konnte, dass sie endlich abhauen sollten. Sie hielten sich nun gänzlich zurück und schauten verunsichert auf Fatih, der Ihnen signalisierte:

“Lasst den Pisser gehen, den kriegen wir später noch.”

Zu viel mehr war Fatih in dieser Situation wohl nicht in der Lage. Ich ging nun mit geballten Fäusten langsam an den Jungs vorbei, denn ich wollte nicht zeigen, wie aufgeregt ich in Wirklichkeit war.

Ich zitterte und ging nicht zum Bus weiter, denn ich hatte Angst, dass sie mir doch noch nachlaufen würden. Ich dachte nicht daran, dass sie wahrscheinlich in aller Öffentlichkeit an einer befahrenen Straße nicht wieder angreifen würden. Ich wollte nur zurück in meine Schule und dem Schulleiter davon berichten, denn schließlich könnten Mitschüler ebenso betroffen sein. Ich ging also zuerst zum nächsten Telefonhäuschen, wählte die Rufnummer meiner Schule und berichtete dem Schulleiter davon. Er sagte mir nur, dass ich das nächste Mal die Polizei rufen solle, falls sie mir nochmals auflauerten.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, welche skandalösen Wellen die Vorgänge, deren Konsequenzen mich noch Jahre beschäftigen sollten, auslösen würden. Dem kurzen Ereignis folgte eine Reihe von Begegnungen mit anderen Opfern, Ärzten, Schulleitern, besorgten Eltern, Kommunal- und Landespolitikern, einem Polizeipräsidenten, Sozialarbeitern, Anwälten und Richtern. Doch dazu später mehr in einem weiteren zukünftigen Blogbeitrag.

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